Hyperbaustelle

2116 – Matrixtest

Dienstag, 23. Februar 2016 von nov

nov, 23. Februar 2116

Immer wenn mir Zweifel an der Wirklichkeit kommen, mache ich den sogenannten Matrixtest. Dazu entlade ich mit einem EMP-Gerät sämtliche elektromagnetischen Felder in meinem Umfeld, was jede wie auch immer geartete Matrix zusammenbrechen ließe. Zuvor habe ich das EMP durch ein zweites überprüft. Es könnte ja schließlich selbst eine Simulation innerhalb eines Simulakrums sein. Dann fülle ich einen vorbereiteten Bogen mit folgenden Fragen aus: Wer bin ich? Wie sehe ich aus? Welche Gegenstände befinden sich in meinem Zimmer? Was ist mein Lieblingsessen? Wie hieß meine erste Freundin? Wie lautet mein Lieblingszitat? Dann vergleiche ich die Antworten mit denen der bisherigen Testbögen. Bislang gab es unter unzähligen Versionen noch keine einzige Übereinstimmung. Für mich der sichere Beweis, mich nicht in einer als konsistent vorgespiegelten Wirklichkeit zu befinden, sondern ein aufrichtiges Produkt meiner Einbildungskraft zu sein. Oder bin ich das Produkt eines Denkfehlers?

To be continued …

Alle Tagebucheinträge von nov aus dem 22. Jahrhundert

2115 – Sich wachträumen

Samstag, 28. März 2015 von nov

nov, 28. März 2115

Noch treibe ich in einem Boot auf dem Wasser, das unter mir gluckst, und beginne erste Geräusche im Haus zu hören. Ein schönes Gefühl langsam von einer Welt in die andere hinüberzugleiten. Es gehört mittlerweile zum guten Ton, den Träumen nachzuhängen und sie weiterzuspinnen, bis sich die Müdigkeit gänzlich aus dem Körper zurückgezogen hat. Der Schlaf ist uns heilig geworden, der Traum stellt uns wieder her, im Wachtraum bestimmen wir uns selbst. Der Rest des Tages ergibt sich dann von ganz alleine. Ich stehe langsam auf und greife zu meinem Tagebuch, in das ich einige Eindrücke meiner nächtlichen Bootsfahrt notiere. Kaffee trinkend und frühstückend betrachte ich die Landschaft draußen, wie sie mir als träumender Geist Zeichen sendet. Ich lese in einem Buch über ein magisches Theater und mache mich dann bereit für meine Aufgaben draußen. Dann werde ich mit dem Boot auf den See hinausfahren und die Wasserzufuhr auf der anderen Seite kontrollieren. Gemächlich paddle ich dahin. Aber ich bin voll konzentriert auf mein Tun, auf das Wasser und die Technik, die mich am anderen Ende erwartet.

To be continued …

Zur Utopie des Schlafes

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2112 – Hand in Hand Kopf und Hand

Mittwoch, 08. Februar 2012 von nov

nov, 8. Februar 2112

Wir sind alle Politiker, Bauern, Elektroniker, Handwerker und Künstler in Personalunion. Jeder Mensch lebt alle diese Bestandteile, nicht als Monade, sondern im sozialen Netzwerk. Das ist vielleicht die kulturelle Leistung seit dem Wiederaufbau. Die mystische vom alten Marx aufgestellte Formel, dass aus der Trennung von Hand- und Kopfarbeit nur falsches Bewusstsein entstehen könne, ist damit aufgehoben.

Niemand muss unentwegt kreativ sein, nichts als Hausarbeit verrichten, permanent Leute überzeugen und gewinnen oder Pflanzen züchten und ernten. Nein, wir existieren in einem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen allen diesen Tätigkeiten. Wir denken auf der Basis unserer körperlichen Gegegebenheiten. Jeder Gedanke und jedes Gesetz atmet die Erfahrung täglicher Arbeit. Und die von uns gemalten Bilder geben uns die Kontur, die wir zum Überleben brauchen. Aber auch heute gibt es Sklaven: Maschinen, die wir aus Humanitätsgründen nicht mit Empfindungen ausgestattet haben.

To be continued …

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2111 – Plattenwechsel

Freitag, 30. Dezember 2011 von nov

nov, 30. Dezember 2111

Was wird aus meinen Daten, wenn ich einmal nicht mehr bin? Eine Frage, die sich mir am Ende jedes Jahres stellt. Wie oft haben meine digitalen Habseligkeiten schon die Festplatten und Wolken gewechselt, und immer noch stehen sie mir zur Verfügung. Natürlich nur insofern ich mich an etwas mehr oder weniger Bestimmtes erinnern kann, und mir ein Suchwort einfällt, es zu bergen.

Was haben die virtuellen Selbsterweiterungen aus mir gemacht? Einen Such- und Sicherungsimpuls? Einen Kontrollwunsch, der sich mittels elektronischer Prothesen durch sein digitales Reich bewegt?

Werde ich in diesen Daten weiterleben? Sind sie – ähnlich wie in der Ergebnisliste einer großen Suchmaschine – eine Spiegelung, die es noch gibt, auch wenn das Originaldokument bereits gelöscht wurde? Und was heißt Löschen in einer Zeit, in der aus DNA oder Speicherzelle doch alles wieder restauriert werden kann?

To be continued …

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2111 – Ausstieg aus der Geldwirtschaft

Mittwoch, 09. November 2011 von nov

nov, 9. November 2111

Alle dachten damals, dass nach Griechenland Spanien und Italien aus der Eurozone ausscheiden würden. Nein, Großbritannien war es, ein vollkommen marodes Staatsgefüge, das trotz aller Ausbeutung nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Die Briten versuchten zwar noch lange die Schuld an Frankreich und Deutschland weiterzugeben. Aber sie wurden vom Zusammenbruch der Londoner Börse überrascht. Wie nur konnten sie ein Haushaltsdefizit von über zehn Prozent so lange verbergen? Wie komme ich gerade drauf? Am 11.11. vor 100 Jahren fing nicht nur der Karneval an, sondern auch der Ausstieg aus der Geldwirtschaft, der dem deutschen Beschluss zum Ausstieg aus der Atomwirtschaft auf den Fuß folgte, aber sich wie dieser noch 50 Jahre hinzog und so manchen Billionen-Schein als Ofenanzünder wirksam werden ließ. Und die Ersparnisse und Lebensversicherungen der Leute? Irgendwo irrlichtern sie in den internationalen Glasfaser-Backbones hin und her, Schätze, die wohl nie mehr zu heben oder so unberechenbar wie ein neuer deus absconditus sind.

To be continued …

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2111 – Heilplasma

Sonntag, 29. Mai 2011 von nov

nov, 29. Mai 2111

Gerade bin ich aus der Plasmadusche gestiegen. Mich plagten Infektionen der Atemwege und eine Verletzung, die ich mir bei einer Reparatur der Kloake zugezogen hatte. Ein Aufenthalt im vierten Aggregatzustand der Materie ist heilsam. In diesem können wir Zusammensetzung und Reaktionsweise der Teilchen besser organisieren als in Luft oder Wasser. Die Elektronen und Radikale sorgen für eine nachhaltige Abtötung schädlicher Bakterien und Viren, mit Duftmolekülen geben wir uns einen guten Geruch, und manche behaupten, die Haut würde unter der Plasmadusche mehr Widerstandfähigkeit gegen die Sonnenstrahlen gewinnen. Im Plasmazustand gibt es nichts, wie es ansonsten unter Bedingungen unseres Planeten vorkommt. Die Zusammensetzung der Teilchen ist virtuell. Ihre Wirkung auf den menschlichen Körper ist zu messen, also nicht nur im Sinne positiver Gedanken zu verstehen. Aber fast möchte man sagen, im Plasma findet der Mensch einen ihm angemessenen Regenerationsraum, eine zweite Natur, die ihn vollkommen angenommen hat.

To be continued …

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2111 – Energiebanken

Donnerstag, 31. März 2011 von nov

nov, 31. März 2111

Meine Energiebank steht in einem gesicherten Kellerraum und hat ein gutes Füllvolumen. Ich bin immer sparsam gewesen und gewinne durch regelmäßige Einspeisungen immer weiter dazu. So habe ich durch meinen neu entwickelten Sozio-Umspann-Relais ein schönes Kontingent als Prämie dazugeladen bekommen. Den Rest besorgen meine Ultra-Solarzellen rund ums Haus. Unglaublich wie die Energiespeicherbanken die Welt verändert haben. Früher kackten die Akkus dauernd ab, erzählte mir mein Vaterholo. Aber diese neuen Speicher halten über Generationen. Nach dem Tod eines Menschen werden sie aber wieder ins zentrale Spannwerk zurückgeschaltet. Bei der Geburt erhält jeder seine Energiebank, die ihm sein Leben lang den Weg frei macht. Da heißt es wirtschaften und überlegen, wie man sie gefüllt behält – ein dauernder Kreativitätsanreiz. Es soll im zentralen Spannwerk noch Energiefelder geben, die durch Kohlekraftwerke eingespeist wurden. Aber Strom hat heutzutage keine Farbe mehr.

To be continued …

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2111 – Zeichenschwärme wie wir

Montag, 21. Februar 2011 von nov

nov, 21. Februar 2111

Gloria ist in die Stadt gezogen. Sicher, wir werden uns besuchen, aber doch sehr viel seltener sehen. Und die vielen Kontakte, die sie in der Wasserlilie neu knüpfen wird, werden sie stark in Beschlag nehmen. Macht mich das eifersüchtig? Auf was sollte ich eifersüchtig sein? Auf elektronische Signale? Die uns so schön gleich machen und die emotionalen Spitzen cutten.

Wenn wir hier auf dem schwindenden Land eines gelernt haben: Etwas fehlt beim Kontakt über die elektronischen Kommunikationsmittel, so echt sie auch 3D-Bilder in den Raum zaubern mögen. Dieses Defizit stört mich bei den meisten meiner Kontakte nicht, von denen ich notwendig froh bin durch ein virtuelles Gitter getrennt zu sein. Bei Gloria schon. Nun wird sie sich also auch in diesem Zeichenschwarm auflösen, der unser Miteinander dominiert; in Schrift, Bild, Ton und Hologramm; in einen Avatar, der Freunde, Diskussionen und Meetings hat, der bei aller Präsenz ständig außer Reichweite ist.

To be continued …

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2111 – Ketzer wie aus dem Schulbuch

Mittwoch, 09. Februar 2011 von nov

nov, 9. Februar 2111

Heute wäre ein großer Ketzer des 20. Jahrhunderts 180 geworden. Er hatte das damalige Österreich als die Eiterbeule Europas bezeichnet, das ihn nach seinem Tod feierte und appetitlich als Tourismus-Sensation herrichtete. Tote beißen eben nicht mehr und übergeben sich nicht mehr verbal bei jedem erdenklichen Anlass. Aber Thomas Bernhard war ein Kotzbrocken aus Überzeugung, weswegen man ihm, mehr noch als durch die von ihm beschriebenen Preisverleihungen, durch seine posthume Ver(k)ehrung auf den Kopf gemacht hat.

Heute ist der damalige Skandalautor in allen gängigen Schulmedien zu finden. Er wird als Beispiel herangezogen, wie schlimm es in unserer Geschichte zuging, mit welchen faschistoiden Redensarten man sich gesellschaftlichen Zwängen widersetzen musste. Wie überschwenglich und relativierend mit dem Tod umgegangen werden musste, um als Individuum bestehen zu können.

To be continued …

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2111 – Müllgebirge

Montag, 31. Januar 2011 von nov

nov, 31. Januar 2111

Eine fantastische Aussicht von dieser Bergkette, hinunter auf die Anlagen im Tal, wohlgemerkt keine Siedlungen. Wer würde schon gerne unterhalb eines Müllgebirges wohnen. Dem Berg, auf dem ich stehe, merkt man das aber nicht an. Da haben die Landschaftsdesigner ganze Arbeit geleistet. So weit das Auge reicht, erstreckt sich das prächtigste Erholungsgebiet. Gut, die Warnungen sind nicht zu überlesen: Kein Wasser trinken, und nichts essen, was an den Bäumen wächst. Aber diese Vorsicht ist uns eingepflanzt: Denn das Spektrum an Farben, Formen und Größen der Früchte ist unübersichtlich geworden.

Die Erdgeschichte hat einige Gebirge aufgefaltet, weiter südlich die Aufsehen erregenden Alpen, die durch Errosion allerdings weitgehend verödet sind. Der Mensch hat in den vergangenen 100 Jahren die geologische Arbeit fortgesetzt. Seine pflanzenbedeckten Umweltsünden würden jeden Vergleich mit den alten Falten unserer Erde gewinnen.

To be continued …

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2111 – Gesundschrumpfen

Dienstag, 18. Januar 2011 von nov

nov, 19. Januar 2111

Schrumpfen – eine glücklich machende Vorstellung, fast gleichbedeutend mit Gesundwerden. Leben in einer zwar domestizierten, aber im Überfluss vorhandenen Natur, in der sich Menschen begegnen und nicht gegenseitig auf die Füße treten. Das haben wir doch erreicht, sagte ich zu Gloria.

Gut, winkte Gloria ab, wenn die Wirtschaft wachsen will, dann schrumpft die Bevölkerung. Kaufmannsdasein schwächt unseren Fortpflanzungstrieb, abgesehen davon, dass keiner mehr Zeit hatte, sich um Kinder zu kümmern. Das übernahmen ja dann die Robots, erwiderte ich. Trotzdem wurden die Geburtenraten in Europa immer niedriger. Und die Wirtschaft beschwerte sich über zu wenig Humankapital. Was waren die Gründe? Unfruchtbarkeit oder Dekadenz? Vernunft oder Individualismus? Egal, es gibt eine natürliche Balance, wieviel Mensch die Erde verträgt. Die wurde wiederhergestellt, ohne dass Maßnahmen eingeleitet wurden. Logisch, sagte Gloria, Maßnahmen sind ja auch nur Schlachten im Krieg der Kleinkrämerisierung.

To be continued …

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2111 – Energiedusche und Fooddesign

Freitag, 14. Januar 2011 von nov

nov, 14. Januar 2111

Ein Wunschtraum des Menschen ist es, Abfall zu hundert Prozent und am besten unendlich wiederzuverwerten. Oder weniger Energie in etwas zu stecken, als man dann anschließend wieder herausholen kann. Etwas, das anfällt oder abfällt, unter die Energiedusche zu stecken und nutzbar zu machen oder zumindest den Anschein von Nutzen zu erwecken. Scheinbar auch ein Grundgedanke des Fooddesigns: Da liegen Furnierabfälle herum, und ein paar Aromastoffe sind zu sonst nichts zu gebrauchen. Also machen wir doch einfach ein Früchtejoghurt draus. Fette sind sich chemisch so ähnlich, egal, ob sie natürlich vorhanden oder technisch hergestellt sind. Da sythetisieren wir doch einfach Futtermittel oder legen Oliven aus gepressten Sägespänen ein. Was haben wir gewonnen, wenn wir toten Gegenständen das Design des Neugewachsenen verpassen? Kann Hunger so gestillt werden? Ich ziehe es vor, Tabletten zu essen und mir schöngestylte Äpfel und Flugmangos aus Plastik in die Schale zu legen. Mir Kochshows dazu anzusehen und mich am Anblick echter Lebensmittel zu erfreuen.

To be continued …

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