Hyperbaustelle

Feierabendparallelwelt Fußball

Niemand behauptet, dass Fernsehen der Information dient. Aber muss man gleich Feierabend-Parallelwelten aufbauen, die aus der Restwelt herausgestanzt werden? So empörte sich Wolff-Christoph Fuss, Kommentator des Championsleaguespiels Piräus gegen Dortmund, über die sozialen Umstände in Griechenland, die einen vielversprechenden Fußballabend verhagelten.

Im Sat1-Forum ist Fuss (ohne Ball) kein unbekannter Name, wie ich gerade festgestellt habe. Ein Foren-Neuling names Oaky schrieb: „Was Herr Fuss heute wieder abgeliefert hat war fast nicht mehr zu unterbieten und hat meine Freunde und mich genötigt, die letzten 20 Minuten den Ton abzustellen. Ob es nun abgedroschene, platitüdenhafte, hohle Phrasen (’nicht von dieser Welt‘) oder einfach nur das absolut peinliche, mantragleiche Wiederholen des Namens ‚Messi‘ war, Herr Fuss hat es wieder einmal geschafft vollkommen an der Realität vorbei zu kommentieren.“

Beim Championsleaguespiel Piräus gegen Dortmund entschuldigte sich nun Herr Fuss über die in das Fußballevent eindringende Realität: „Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nicht versprechen, dass dieser Fußballabend störungsfrei verlaufen wird.“ Damit waren die Demonstrationen gemeint, die überall in Athen stattfanden und den Fußballfans das Leben schwer machten. Ja, Herr Fuss, darüber muss man sich natürlich empören. Schließlich kämpfen die Menschen in Griechenland ja nur um ihre Existenz. Wie kommen die da nur drauf, mit einem CL-Spektakel wetteifern zu können? Früher wiesen Kommentatoren der Öffentlich-Rechtlichen wenigstens noch darauf hin, dass Fußball nicht das Wichtigste auf der Welt sei. In der radikal kommerzialisierten Sphäre von heute braucht man sich mit solchen Floskeln gar nicht mehr aufzuhalten, insbesondere, wenn das Spiel in einem Staat stattfindet, der seinen Kredit bereits vollkommen verspielt hat.

Stattdessen werden idiotisch durch Europa reisende Fußballfans von T-Online-Schreibern zu Helden gestempelt: „Zur Pause waren die gut 800 Dortmunder Fans, die sich trotz aller Widrigkeiten auf den Weg nach Griechenland gemacht hatten, bedient …  einige der mutigen Dortmunder …  saßen tagsüber stundenlang in ihrem Hotel in der Nähe des Parlamentsgebäudes fest. Dort hatten sich radikale Demonstranten und die Polizei eine Straßenschlacht geliefert.“ Frechheit, möchte man hinzufügen, müssen die ihren Existenzkampf gerade dann führen, wenn sich deutsche Fans gerne einen völlig sinnlosen geliefert hätten.

Mich ärgert an dem Ganzen vor allem die Rolle der Medien, wie sie nur darauf konzentriert sind, einen Medienevent perfekt verkaufen und dabei ungleich wichtigere Ereignisse nur noch auf eine äußerst verschrobene Weise als Störgröße wahrnehmen. Das Schlimme dabei ist, dass man gar nicht sagen kann, sie würden ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Denn sie sind im Prinzip nur ihrem Sender, den Geldgebern und Einschaltquoten verantwortlich. Umso mehr, Herr Fuss, braucht es hier Fingerspitzengefühl von den einzelnen Mitarbeitern, um nicht komplett einfältig zu werden.

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 10. November 2011 um 00:00 Uhr von urb veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Erlebnis, Politik / Gesellschaft abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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6 Comments »

  1. Wow! Finally.
    I had almost lost hope that „urb“ would meticulously comment on what we occupy since a couple of weeks and months, be this in Egypt, in Tel Aviv, in New York, in Oakland; or in our private homes, a space as valued as the Hyperbaustelle. We have occupied a space that put to rest the eternal muting of all speakers in us, as we turn inside out, be this Zizek in Zuccotti Park, or the last 20 minutes on Sat 1’s Piraus gegen Dortmund.
    Thanks a bunch. Long overdue.
    [Abu Selma from Lisbon]

    Comment: abu selma – 11. November 2011 @ 00:36

  2. Freue mich auch über diesen Beitrag – sozusagen eine Flanke ins Zentrum wichtiger Themen – und endlich wieder Hyperbaustellen-Aktivität!

    Comment: Kathrin – 17. November 2011 @ 20:06

  3. i have a dream

    Schön zu wissen, wie klein die Welt doch ist und wie schnell mit „KTG´schem“ copy and paste oder durch ein paar links (http://www.freitag.de/politik/1143-umringt-von-mentoren) fertige Abhandlungen zu jeglichem Thema erstellt werden könnten – „ohne eigenen Standpunkt“, bzw. sich nur durch die kurzfristige Auswähloption (google-Suche-link) offenbarend.

    Kritisch wäre anzumerken, dass es sich bei dem Komplex (deutsch/griechischem) Fußballfan/ Sozial- Protestant sicherlich auch um ein ähnliches, Sprach-Problem handelt als bei dem Wort occupy, welches neben der Bedeutung des „sich beschäftigens“ auch das „Besetzen“ beinhaltet; so haben es sicherlich die Nomaden in Ihren Zeltstädten außerhalb der wärmeren klimazone im Winter etwas schwerer – zudem sich die NewYorker Sicherheitsbehörden nicht nur mit der Sicherheit „fliegendender Bauten“ auseinanderzusetzen haben.
    So wünsch ich allen Naturfreunden neben dem Prinzip Hoffnung auch eine Heimat im besten Sinne – egal ob auf dem „Pennsylvania Highway oder dem Indiana early morning“ – nebenbei auch meine fußballerische Hochachtung vor Jogi´s Deutschland -Truppe, die es dem „orangen Erzfeind“ endlich mal in wirklich schöner, sportlicher Hinsicht gegeben hat.

    Fußball, Griechenland – finanzielles und soziales „Beschäftigsein“ und reale/utopische Baustellen,…. da kann auch ich nicht mehr auf „stumm schalten“-
    als Anregung für die nächsten Tage schlage ich den Spanier, Japaner oder Italiener vor, für die Quote vielleicht auch ´ne deutsche Sportgaststätte.
    Ich muss Schluß machen ……die Sportschau im ERSTEN!

    Comment: Karpathos – 19. November 2011 @ 19:11

  4. Fußball gucke ich nie, aber dass viele Teile des Lebens, die wirklich wichtig sind, von den Medien als „Störgrößen“ verknappt werden, das kann man an diesem Beispiel sehr schön sehen. Fußballübertragungen und Fußballgeschäft sind fast schon zu einer Hyperrealität im Baudrillardschen Sinne geworden: eine, die alle andere Realität aufsaugt! Aber dieses Hyperreale entspricht natürlich nicht meinem Verständnis der Hyperbaustelle, zufällige und teilweise Namensähnlichkeiten sind rein zufällig!!! Ahoi Gloria!

    Comment: Gloria – 22. November 2011 @ 14:17

  5. Ja, Abu Selma, Zizek in Zucotti-Park war ein Meilenstein, den man eigentlich nicht unkommentiert lassen sollte, in diesem Zusammenhang, danke für den Link, karpathos. Fühle mich allerdings von den Ereignissen überrollt, bin daher sehr um eine von innen nach außen tragende Perspektive bemüht, da ja auch die Fußballkontemplation nicht mehr gelingt. Die Bezugnahme auf Baudrillard und seiner Hyperrealität finde ich sehr treffend, Gloria. Fragt sich, wohin sich die Realität in unserem Medienfiktionsgemisch verschlüpft hat und ob sie sich durch eine klare Abseitsstellung wiederherstellen ließe. Regelverstoß also doch besser als Flanke, Kathrin?
    Es grüßt euch urb

    Comment: urb – 23. November 2011 @ 11:05

  6. […] Welt drumherum, dennoch hat sich der Hyperbaustelle-Blog einmal so seine Gedanken über die „Feierabendparallelwelt Fußball“ gemacht: (…) Beim Championsleaguespiel Piräus gegen Dortmund entschuldigte sich nun Herr […]

    Pingback: Konsumpf » Lesetipps: Kommerzialisierung | Fußball | Palmöl aus dem Regenwald | Alternative Ökonomie | Guttenberg – 04. Dezember 2011 @ 09:34

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