Hyperbaustelle

Crowdsourcing – wie Surfen zu Arbeit wird

Mitteilungsbedürfnis und Fähigkeiten von Web 2.0-Aktiven werden intensiver kommerziell genutzt, als mancher vielleicht vermutet. Der Chemnitzer Soziologe Christian Papsdorf hat über dieses Crowdsourcing genannte Phänomen ein Buch geschrieben und erklärt, »wie Surfen zu Arbeit wird«. Enthaltsamkeit scheint hier die utopische Spur zu sein, der die User in Zukunft folgen sollten.

Crowds


Hyperbaustelle: Welche Unternehmen und Branchen bauen strategisch auf das Mitmach-Internet?

Papsdorf: In medienaffinen Branchen gibt es genügend ernsthafte Versuche, User als Arbeitskräfte einzubinden. Dies reicht von T-Shirt-Designs über die kollektive Produktideenentwicklung bis hin zu kleinstteiligen Clickworker-Aufgaben. Etablierte Unternehmen versuchen, durch Crowdsourcing zusätzlichen Mehrwert zu generieren. Aber es gibt bereits noch etwas exotisch anmutende Firmen, die ausschließlich User arbeiten (etwa Programmierung oder Grafik-Design) lassen. Rein crowdsourcingbasierte Unternehmen, wie etwa InnoCentive, verzeichnen Umsätze in Millionenhöhe, und Spreadshirt beschäftigt inzwischen 300 Angestellte für die Bearbeitung und Produktion von Userdesigns. Gegenwärtig entstehen außerdem erste Agenturen, die Userarbeit vermitteln.

Welche Crowdsourcing-Strategien gibt es?

Papsdorf: Der verarbeitende und produzierende Sektor nutzt verstärkt Ideenwettbewerbe (z.B. DELL IdeaStorm) oder die userdesignbasierte Massenfertigung (z.B. Spreadshirt).  Im Dienstleistungssektor sind sogenannte ergebnisorientierte Microjobs (z.B. Amazon mturk) oder die indirekte Vernutzung von Usercontent (z.B. BILD-Leserreporter) üblich, um Innovationspotenziale in das Unternehmen zu überführen. Betrachtet man die erst im Enstehen begriffenen Agenturmodelle, lässt sich sagen: Alles, was digitalisierbar ist, kann an die User ausgelagert werden.

Was ist die besondere Qualität der privaten Wertschöpfungsprozesse und wo sind die Grenzen?

Papsdorf: Die wieder verstärkt zu hörende Meinung, Kunden wüssten am besten, was Kunden bräuchten, scheint zu stimmen. Das Innovationspotenzial der Masse ist gerade vor dem Hintergrund der spezifischen Sozialstruktur der Internetbevölkerung eine wichtige Ressource. Demgegenüber steht die simple Ausbeutung von Zeitressourcen nach dem AAL-Prinzip (andere arbeiten lassen): User verschlagworten für Cent-Beträge Bilder, transkribieren Audio-Schnipsel oder kommentieren Blog-Posts, um Traffic zu generieren. Aber Crowdsourcing ist ein zweischneidiges Schwert, wenn es falsch verwendet wird, beschwört es den Ärger der Community herauf. Durch zu starke Kontrollen beispielsweise verlieren die User das Interesse und fühlen sich wie gewöhnliche Arbeitskräfte. Dass die Weisheit der Massen nicht immer wikipedia-like funktioniert, mussten schon einige Unternehmen überrascht feststellen.

Gibt es Formen des Crowdsourcing, die der User vielleicht gar nicht mitbekommt?

Papsdorf: Besonders tricky ist die indirekte Vernutzung von Usercontent: Bei suite101 werden die Nutzer beispielsweise aufgefordert, Artikel zu Sachthemen zu schreiben, die aber nicht wegen ihres Gehaltes von Interesse sind, sondern weil die Lesehäufigkeit der Artikel den nebenstehenden Werbeplatz gewinnbringend macht. Ein aktuelles Beispiel: Auf vielen Homepages muss man eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben eingeben, die als Grafik dargestellt ist und die Bots vom Klicken abhalten sollen. Nun wurde bekannt, dass Google den Anbieter reCAPTCHA gekauft hat, um die für google books gescannten und schlecht lesbaren Buchstaben und Worte von Usern auf diese Art bestätigen bzw. überhaupt erst digitalisieren zu lassen.

Gibt es irgendwelche Vorteile, die der User für sich verbuchen kann?

Papsdorf: Natürlich werden in Crowdsourcing-Projekten auch Fertigkeiten erworben, Kontakte geknüpft und vielleicht auch spätere selbstständige Tätigkeiten vorbereitet – aber das trifft nur auf einen Bruchteil der User zu. Der sich gerade entwickelnde Online-Arbeitsmarkt für Kunden ist wahrscheinlich noch stärker polarisiert als der Offline-Arbeitsmarkt. Einer kleinen Zahl an Gewinnern steht die große Masse an Usern entgegen, die von ihrer Arbeit nicht angemessen provitiert. Was in diesem neuen Feld angemessen sein könnte, wird in naher Zukunft auszuhandeln sein. In der Regel gehen User klar als „Verlierer“ aus diesem Geschäft hervor.

Wie geht es in Zukunft weiter mit Crowdsourcing?

Papsdorf: Unter Federführung von Wirtschaftsunternehmen wird Crowdsourcing (trotz vehement gegenteiliger Äußerungen) nie ein Projekt der wirtschaftlichen Emanzipation von Kunden oder gar der Demokratisierung der Produktionssphäre darstellen können. Unternehmen werden im Zuge bestehender Rationalisierungsstrategien versuchen, beliebige Arbeitspotenziale zur Kostenreduktion abzuschöpfen. Für die User wünsche ich mir selbstorganisierte, an Open-Source-Maßstäben orientierte Formen der Kollaboration, die durchaus ökonomische Relevanz haben können.

Was ist Ihr persönliches Anliegen?

Papsdorf: Über das Phänomen erst einmal aufzuklären, um so eine tendenzielle Informationsgleichheit herzustellen! Das könnte dann in entsprechende Enthaltsamkeitsstrategien münden. In Zeiten der Entgrenzung von Arbeit und Privatleben besteht die Übung nicht mehr nur darin, sich erfolgreich in das Wirtschaftsleben zu integrieren, sondern sich diesem auch erfolgreich zu entziehen.

crowdsourcingPapsdorf, Christian
Wie Surfen zu Arbeit wird: Crowdsourcing im Web 2.0
Frankfurt am Main/New York 2009
201 Seiten, Campus Verlag, 24,90 Euro
ISBN 978-3-5933-9040-6

Im November 2009 startet an der TU Chemnitz im Fachbereich Industrie- und Techniksoziologie ein Forschungsprojekt, das einen Fokus auf die neuen Formen des Zugriffs auf Arbeitsleistungen von Konsumenten im Internet legt.

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 23. Oktober 2009 um 01:04 Uhr von urb veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Gespräch, Medien / Web abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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5 Comments »

  1. […] Crowdsourcing – wie Surfen zu Arbeit wird – ein interessanter Beitrag der Hyperbaustelle über die vielfältigen Formen, wie Unternehmen die User für sich arbeiten lassen. Tenor: die User sind meistens die Verlierer, mit einer wirtschaftlichen Emanzipation von Kunden oder gar der Demokratisierung der Produktionssphäre habe all das definitiv nichts zu tun. Aber: selber lesen! Ganz so eingleisig ist das m.E. nicht in allen Fällen zu bewerten. […]

    Pingback: Die 7 WWMAG-Surftipps zum Wochenende 44/2009 – 23. Oktober 2009 @ 21:19

  2. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Leander Wattig, urb erwähnt. urb sagte: Crowdsourcing, wie Surfen zu Arbeit wird – http://tinyurl.com/yz9xlta – Gespräch mit Autor C. Papsdorf auf der Hyperbaustelle #Utopie […]

    Pingback: Tweets die Hyperbaustelle » Crowdsourcing – wie Surfen zu Arbeit wird | Utopie-Blog erwähnt -- Topsy.com – 24. Oktober 2009 @ 17:52

  3. […] mein Verständnis von Utopie wider. Am stärksten nachgefragt wurde ein internetaffines Thema: Crowdsourcing besitzt eine utopische Potenz, aber als Strategie im kommerziellen Umfeld besitzt es eher […]

    Pingback: Hyperbaustelle » Utopie im Oktober | Utopie-Blog – 01. November 2009 @ 17:07

  4. […] an der “Content”-Ergänzung dieses Konzern-Portals ausschließlich im Sinne der Gewinnmaximierung eingesetzt […]

    Pingback: Hyperbaustelle » Keine Beweihräucherungen – literaturkritik.de | Utopie-Blog – 14. März 2010 @ 20:25

  5. […] vor allem mein Verständnis von Utopie wider. Am stärksten nachgefragt wurde ein Internet-Thema: Crowdsourcing besitzt eine utopische Potenz, aber als Strategie im kommerziellen Umfeld ist es eher durch […]

    Pingback: Hyperbaustelle » Utopie im Oktober | Utopie-Blog – 24. September 2010 @ 01:26

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