Hyperbaustelle

2110 – Exkommuniziert?

nov, 26. Mai 2110

Tatsächlich ist die Exkommunikation die schwerste Strafe, die einen Menschen heute treffen kann – der Ausschluss von der Teilnahme an allen unseren Kommunikationsmitteln, die Sperrung des Netzzugangs, die Verweigerung des Logins und der Robotersteuerung. Eine Exkommunikation bedeutet die Vernichtung der globalen Identität, den Entzug des Wissens, das Ende des Austauschs, den Verlust jeder Operabilität, Orientierung und Teilhabe.

Mir ist allerdings niemand bekannt, der exkommuniziert wurde, weder aus der realen noch aus der virtuellen Welt. Vermutlich dient diese Vorstellung einer postchristlichen Hölle nur der Abschreckung. Tatsächlich ist Kommunikation in unseren Tagen eine religiöse Handlung geworden. Beichten nehmen wir uns in unseren Blogs, Foren und Chatrooms sub rosa gegenseitig ab. Wie im historischen Beichtstuhl sehen wir unserem Beichtvater nicht direkt ins Gesicht und erhalten das Bußsakrament durchs digitale Gitter.

To be continued …

Alle Tagebucheinträge von nov aus dem 22. Jahrhundert

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 26. Mai 2010 um 12:43 Uhr von nov veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Tagebuch 2115 abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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13 Comments »

  1. […] Filmkunst, die eine immer größere Sehnsucht nach Natur entwickelt; um den neuen Wortsinn der Exkommunikation als Kommunikationsmittelentzug und die Form der elektronischen Beichte; und um den Unsinn einer […]

    Pingback: Hyperbaustelle » Erneut im Mai | Utopie-Blog – 31. Mai 2010 @ 10:46

  2. Einfach witzig und sehr naheliegend!

    Comment: paul – 04. Juni 2010 @ 21:56

  3. klasse! jetzt wo die pure tatsache, dass etwas im netz steht, diesem schon bedeutsamkeit verleiht, wahrhaft eine hölle…

    Comment: Kathrin – 18. Juni 2010 @ 23:56

  4. Durchaus, ich bin überzeugt davon, dass an der Kommunikation das Beteiligtsein die wichtigste Rolle spielt. Hauptsache der Kanal steht, die transportierten Inhalte sind häufig nebensächlich. Eher zählt das Ritual, das Verbindlichkeit schafft. Der positive Effekt: im Vordergrund die soziale Bindung, Empathie vor Intellekt …

    Comment: urb – 19. Juni 2010 @ 14:21

  5. Aber ist es soziale Bindung? Empathie? Habe in der SZ von einer Studie gelesen, nach der die Empathiefähigkeit von jungen Menschen eher abnimmt. Einer der angegebenen Gründe: die Gewöhnung an virtuelle Kommunikation, bei der man z.B. jederzeit aussteigen kann und die Reaktionen des anderen, gerade die emotionalen, gar nicht mitbekommt bzw. nicht selbst wieder auf sie reagieren muss…

    Comment: Kathrin – 19. Juni 2010 @ 22:01

  6. Echt interessant, was manche dieser Fragemente an Ausdeutungen zulassen: Mir ging es bei der Niederschrift eher um die Bedeutung der elektronischen Kommunikation, aus der im Grunde niemand mehr aussteigen kann, ganz so, wie man sich nicht der Autorität der Kirche entziehen konnte.

    @urb: Genau, mir ging es um das Ritual, das die Menschen gleichschalten kann, was durchaus auch eine positiven Effekt hat und auch progressive Gruppen kennzeichnet.

    @Kathrin: Ich stimme dir zu, dass sich die Qualität der Kommunikation und der sozialen Bindung verändert, die mit einem doch eher unpersönlichen Kontakt zusammenhängt. Aber hierin liegt auch eine gewisse Freiheit, die nur dann problematisch wird, wenn man keine substanzielleren sozialen Bindungen besitzt. Bist du der Meinung, dass die Kommunikation übers Netz Rückwirkungen auf die sozialen Bindungen in der realen Welt hat? Und zwar immer in Form eines Verlusts von Empathiefähigkeit? Und würde man, wenn man quasi nur Online-Kontakte hätte, zumindest mit ausgewählten nicht sehr sorgsam umgehen?

    Comment: nov – 20. Juni 2010 @ 06:28

  7. Gute Fragen. Ja, einfach nur negativ ist es sicher nicht. Online-Kontakte schaffen in vielen Fällen ja sogar die Möglichkeit zu einer Einfühlung in ferne Menschen, die anders gar nicht gegeben wäre.
    Negative Rückwirkungen habe ich, zugegebenermaßen, bisher vor allem innerhalb der Online- bzw. Email-Kommunikation selbst festgestellt: Unverbindlichkeit, Missverständnisse, stark verknappte Äußerungen, die die Reaktionen des Gegenübers keineswegs empathisch vorwegnehmen….
    Aber ich halte diese Entwicklungen auch nicht für ein Problem des Mediums an sich – schnell können sich neue Formen der Vorsicht und auch virtuellen Empathie etc. herausbilden, wenn die Kommunizierenden sich so verständigen, was ja auch passiert. Also: keine Selbst-Exkommunikation geplant… – Aber danke für die Entgegnungen!

    Comment: Kathrin – 21. Juni 2010 @ 22:02

  8. Hallo zusammen, auch ich kann die negativen Rückwirkungen der Online-Kommunikation bestätigen, die Knappheit der Aussagen und auch die daraus resultierenden Missverständnisse, die häufig in einer Frustration enden …
    In der realen Welt beherrschen doch mehr die Emotionen und die Körpersprache dem direkten Gegenüber die Kommunikation. Die sozialen Bindungen, die dadurch entstehen, haben einen ganz anderen Stellenwert als die oft unverbindliche und distanzierte digitale Mitteilung.
    Den positiven Onlineaspekt sehe ich in der Verfügbarkeit – man schreibt und empfängt gerade, wenn es einem passt – das ist für mich die fließende Freiheit der digitalen Kommunikation. Die virtuelle Empathie hat, meiner Meinung nach, viel Raum, um zu wachsen und zu gedeihen. LG, nina

    Comment: nina – 21. Juni 2010 @ 23:35

  9. @Kathrin: Ich will einfach mal unterstellen – obwohl ich nicht Frank Schirrmacher bin -, dass die meisten Menschen durch Online-Kommunikation überfordert sind. Eine in diesem Medium gelingende Kommunikation setzt voraus, dass man sich ein Bild des Gegenübers nur aus einigen textuellen Versatzstücken machen kann und sich auf diese Weise einfühlt.

    @Nina: Im Grunde unterscheidet sich die Situation aber nicht von normaler Kommunikation, die sich in der realen Welt nur leichter an Äußerlichkeiten ausrichtet. Beispiel: Die meisten Chatrooms sind der Versuch, in standardisierten Annäherungsformen Hemmschwellen noch weiter zu reduzieren und Kommmunikation durch Quantifizierung erfolgreicher zu machen.

    Erschwerend kommt hinzu, – das spricht im Übrigen auch Rifkin in der Empathischen Zivilisation an -, dass das Sendungsbewusstsein der aktiven Netzteilnehmer (Blogger usw.) sie zu narzisstischen Monaden macht und letztlich den Blick auf den eigentlichen Kommunikationsakt verhindert. Auch das kennt man aus zahlreichen Kommunikationssituationen in Wirtschaft, Politik, Hochschule oder anderen Bildungsinstitutionen.

    Ich glaube, dass in erster und virtueller Welt der entscheidende Faktor die Zeit ist, die man sich nimmt, um einen Diskussionsbeitrag oder eine Entgegnung zu verarbeiten. Ohne diese Anstrengung gleicht Empathie nur einem oberflächlichen, betulichen Jaja oder zwei gegeneinander gelehnten Hülsen. Und diese Zeit wird uns in modernen Gesellschaften stark verknappt und selbst tun wir durch die neu hereinschneienden, unbegrenzten virtuellen Möglichkeiten ein Übriges: Wir verzetteln uns in aufmerksamkeitsminimierter Zerstreutheit.

    Comment: urb – 22. Juni 2010 @ 00:15

  10. Ich glaube, die von vielen angegebenen Defizite der Onlinekommunikation sind Erscheinungen des Übergangs: man vergleicht mit Real-Life-Kommunikation und hat seine Verhaltensweisen und Erwartungen noch bei weitem nicht den neuen Verhältnissen angepasst.

    Geschweige denn, dass die VIELFALT der Kanäle und Gelegenheiten schon auf ein eingeschliffenes, der jeweiligen Situation angepasstes Verhaltensrepertoire (inkl. Knigge und so) träfe. Offline wissen wir, dass wir beim Einsteigen in die U-Bahn nicht in die Runde grüßen müssen – beim Posten in einem Forum ist das nicht so klar. Ebensowenig die Anrede in der E-Mail: wann ist ein „Hallo“ ok und wann unhöflich?

    Das sind nur kleine Beispiele für unzählige Unsicherheiten, die oft genug zu Frusterlebnissen führen, weil die jeweiligen Partner die Botschaften unterschiedlich interpretieren.

    urb schrieb:

    „Erschwerend kommt hinzu, – das spricht im Übrigen auch Rifkin in der Empathischen Zivilisation an -, dass das Sendungsbewusstsein der aktiven Netzteilnehmer (Blogger usw.) sie zu narzisstischen Monaden macht und letztlich den Blick auf den eigentlichen Kommunikationsakt verhindert. “

    Ich erlebe das nicht so, im Gegenteil: im Lauf der Jahre hat das Kommentargespräch im Digital Diary für mich oft größere Bedeutung angenommen als der Artikel. Nicht unter jedem Beitrag entwickelt sich das so, aber oft genug (mehr könnte ich kaum leisten…).

    Es kommt immer drauf an, was man draus macht! Per E-Mail hatte ich schon immer ab und an sehr intensive philosophische Gespräche, die auch das Persönliche nicht ausließen. Und daraus sind manchmal auch reale Freundschaften entstanden – mit Menschen, die ich offline gar nicht bemerkt hätte!

    Comment: Claudia – 02. Juli 2010 @ 11:53

  11. Durch die WM fiel der Blick auf Afrika, die Reportage von Marieta Slomka, fand ich im Übrigen sehr interessant – und so denke ich, man sollte bei dieser Diskussion in Betracht ziehen, dass fast ganz Afrika sich hinsichtlich des Internets in einem Zustand der Exkommunikation befindet.

    Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieses Ausmaß, je nach den gesellschaftlichen Bedingungen, künftig sogar noch ausweitet und die Menschheit in Kommunikationselite und in von jeder Information Ausgeschlossene gespalten wird. Gruß Paul

    Comment: paul – 07. Juli 2010 @ 09:23

  12. @Paul: Das wäre dann die Antiutopie, die ich nicht im Tagebuch verarbeiten wollte. Muss man auf jeden Fall im Blick behalten, speziell weil auch die im Netz vorhandenen Informationen, zum Teil eher der Desinformation dienen. Also auch der Breitbandinternetzugang schützt nicht davor, von den wichtigen Vorgängen ausgeschlossen zu sein.

    Comment: nov – 07. Juli 2010 @ 09:29

  13. @Claudia: Es stellt sich m.E. nur die Frage, wohin der Übergang führt, wenn er nicht mit der nötigen Konzentration verbunden ist. Es wäre immerhin möglich, dass sich gewisse Umgangsformen bei der Onlinekommunikation abschleifen und sich das auch auf die reale Welt auswirkt. Trotzdem bin ich deiner Meinung, dass die Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu treffen, in der virtuellen Welt stark zunehmen. Was ist im Übrigen deine Meinung: Soll man beim Posten in die Runde grüßen?

    Comment: urb – 09. Juli 2010 @ 13:03

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